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HomePolitikGerhard Spörl: Der Welterklärer

30 Jahre Mauerfall: Sie ließen der DDR einfach die Luft raus


Ost und West, wiedervereint
Beide haben sich geirrt, das ist das Ironische

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

04.11.2019Lesedauer: 6 Min.
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Lange Schlange von DDR - Pkw's am Grenzübergang Rudolphstein: Von der Zeit nach der Grenze hatten beide Seiten falsche Vorstellungen.Vergrößern des Bildes
Lange Schlange von DDR - Pkw's am Grenzübergang Rudolphstein: Von der Zeit nach der Grenze hatten beide Seiten falsche Vorstellungen. (Quelle: Montage: t-online.de/ullstein-bild)

Als die Mauer fiel, begann endlich mal eine gelungene deutsche Revolution und das auch noch friedlich. Nebenbei platzte die Illusion vom moralisch besseren Land, die Linke im Westen hegten.

Für mich war die DDR immer da. Sie war zum Beispiel die alte Papierfabrik mit dem hochaufragenden Schlot und dem sachte verfallenden Ort Blankenstein drum herum, wo nur noch wenige Menschen lebten in wenigen bewohnbaren Häusern. Nur selten ließen sie sich sehen. Die Wäsche auf der Leine im Garten und der verhaltene Lärm der Maschinen in der Fabrik zeugten davon, dass es sie gab. Wir schauten hinüber in die DDR, die so nah und so fremd war.

Die Soldaten auf Wachtposten beobachteten uns mit ihren Feldstechern, wahrscheinlich eher aus Langeweile denn aus Vorsicht. Träge floss die Saale durch das schmaler werdende Tal, als wehre sie sich dagegen, das westliche Oberfranken vom östlichen Thüringen zu scheiden.

Wir fuhren fast immer von Hof, wo ich geboren wurde, hinaus an die Grenze, wenn Besuch zu uns gekommen war, aus dem Inneren der Bundesrepublik. Wir boten ihnen etwas Besonderes, was nur hier zu haben war, auch wenn diese Sonntagsausflüge nichts beweisen sollten.

Wir lebten in einer Art Niemandsland

Allerdings ist unser Bewusstsein von dem Gefühl mitbestimmt worden, dass wir in einer Art Niemandsland lebten: in Randlage zu einem Deutschland, zu dem wir gehörten; abgeschnitten vom anderen Deutschland, dem die Region über Jahrhunderte hinweg zugewandt gewesen war. Sehr seltsam. Wir haben uns nie daran gewöhnt.

Unser Privileg im Grenzgebiet bestand darin, dass wir ab 1973, dank des Grundlagenvertrages zwischen den beiden Deutschlands, in die DDR reisen durften. Das Filzen an der Grenze bei Rudolphstein zog sich quälend lange hin und in mir stieg regelmäßig der Ärger über die vertane Lebenszeit hoch. Sie wollten uns nicht, wir waren eine Gefahr für sie – durch unsere bloße Existenz.

Ich besuchte Freunde meiner Eltern in Halle. Er war Augenarzt, eine Koryphäe, der nicht Chefarzt werden durfte, weil er nicht der Partei angehörte und sich in der Kirche engagierte. Er und seine Frau sagten bei meiner ersten Ankunft, morgen würden zwei Beamte der Staatssicherheit vorbeikommen und mich ausfragen, warum ich hier sei und was ich mit meinen Gastgebern besprechen würde. Ich wollte es nicht glauben, aber die beiden kamen tatsächlich vorbei und stellten genau jene Fragen, die mich beklommen machten, und auf die sie wahrscheinlich keine ehrliche Antwort erwarteten.

Wie Kohl und Genscher: Als die Mauer fiel, war ich am falschen Ort

Im Westen redeten meine linken Freunde meine Erlebnisse klein, nahmen sie nicht ernst und hielten mich nur bedingt für einen der Ihren. Einer von ihnen war in der DKP und lebte freiwillig ein Jahr in Ost-Berlin. Sie betrachteten die DDR als das bessere Deutschland: wegen des Bruchs mit dem Dritten Reich, wegen des Sozialismus, der zugegeben Schwierigkeiten hatte, aber vor allem deswegen, weil der Kapitalismus es so wollte. Und immerhin waren dort keine Nazis in hervorgehobenen Ämtern nach 1949 gewesen, wie im Westen, nicht wahr?

Ich erzählte vom Stasi-Staat, das kam nicht gut an. Ich war mir unsicher, ob sie vielleicht nicht doch Recht hatten.

Als die Mauer fiel, war ich am falschen Ort, genauso wie Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher. Ich war Korrespondent der "Zeit" und begleitete die beiden zu einem Staatsbesuch in Warschau. Was sich in unserer Abwesenheit in Berlin ereignete, war ein Schock, das Undenkbare passierte, das Unerwartete brach herein. Es dauerte, bis Freude aufkam.

In den nächsten Monaten redete ich mir mit meinen altgedienten Kollegen die Köpfe heiß. Freundschaften zerbrachen. Lager bildeten sich. Sie sagten: Nein, es bleibt alles beim Alten, ganz bestimmt, nie und nimmer zieht die Regierung nach Berlin um, das lassen schon mal die Alliierten nicht zu. Bonn ist so schön klein und friedlich, das macht niemandem in der ganzen Welt Angst. Nur ruhig Blut, wir müssen nicht umziehen.

Günter Grass sprach aus, was manche dachten: Die Teilung war die Strafe für Auschwitz. Daran durfte sich nichts ändern.

Was sie wollten, war unmissverständlich

Es kam, wie es kommen musste. Die Alliierten legten keine Steine in den Weg. Sie hätten gerne das Entwicklungstempo verlangsamt, aber das bestimmten die Demonstranten in Berlin und Leipzig, Dresden und Plauen. Amerika, Frankreich und England war daran gelegen, dass dieses größere Deutschland in der Nato blieb und die Europäische Gemeinschaft ausgebaut wurde. Es dauerte nur wenige Jahre, bis die Regierung nach Berlin umzog, der Bundestagsbeschluss fiel denkbar knapp aus.


Dreißig Jahre ist es am Samstag her, dass die Mauer einstürzte – einstürzen durfte, weil nicht mehr Breschnew, sondern Gorbatschow in Moskau regierte. Ein großer Tag, ein historisches Ereignis, endlich mal friedlich, endlich mal mit dem Mut der Verzweiflung über den Mangel an Freiheit, an Lebenschancen, an wirtschaftlicher Kraft. Was sie wollten, war unmissverständlich: Wir wollen sie loshaben, die SED und die Blockparteien und die FDJ und die leere Rhetorik der alten Herren des Sozialismus.

Sie ließen der DDR einfach die Luft raus. Die Revolution war friedlich und besaß keinen Anführer. Eine List der Geschichte.

Willy Brand hat sich leider geirrt

"Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört", sagte Willy Brandt, der Patriot, der zu den ganz wenigen Menschen gehörte, die sich aus ganzem Herzen über die Wiedervereinigung freuten. Leider irrte er sich, wie wir heute wissen. Was 40 Jahre lang getrennt war, war sich fern und fremd geworden. Konnte gar nicht anders sein.

Die DDR war "eine stark nivellierte Gesellschaft mit einer proletarischen Mentalität und einer entbürgerlichten Kultur", schreibt der Soziologe Steffen Mau, aufgewachsen an der ostdeutschen Ostseeküste, in einem lesenswerten Buch.

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Die Bundesrepublik war auch kein bürgerlicher Musterstaat, aber seinen Bürgern verlieh der Wohlstand, der sich aus dem Wirtschaftswunder der fünfziger Jahre entwickelt hatte, ein eigenes Selbstbewusstsein, das seine bornierten und arroganten und deshalb verständnislosen Seiten besaß.

Das Ruhrgebiet verbindet wenig mit Bayern – aber keinen stört es

Also muss dieses Deutschland erst noch zusammenwachsen. Aber was wäre es denn, dieses richtige Zusammengehören? Vermutlich verlangen wir zu viel von den anderen: Habt euch nicht so, wir haben viel Geld in euch hineingesteckt, eure Ruinen aufgebaut, eure Straßen und der Soli fließt seit furchtbar vielen Jahren zu euch. Und so bebt irgendwie der Ausnahmezustand von damals noch nach.

Aber was wäre Normalität? Wir könnten ja auch so drauf schauen: Die Menschen im Ruhrgebiet verbindet wenig mit den Schwaben und Bayern und Niedersachsen und keiner beschwert sich darüber, keiner jammert darüber oder fordert Satisfaktion.

Natürlich ist es ein Unterschied, ob neue Länder nach 1945 entstanden und gar nicht gefragt wurden, ob sie miteinander einen neuen Staat bilden wollten, oder ob ein geteiltes Deutschland in ein Gesamtdeutschland mündet. Und es ist ein Unterschied, ob eine gewisse Zahl an Menschen aus Schleswig-Holstein nach Hessen oder Baden-Württemberg zieht oder ob Menschen in Massen aus dem Osten in den Westen gehen, so dass dort Gemeinden und kleinere Städte schrumpfen und dann die Versorgung auch.

Das ewige Jammern führt zu Verdruss und Ärger

Aber dieses ewige Jammern über das Abgehängtsein und über den Mangel an Respekt und dieses Übermaß an Erwartungen an den Staat und die Politik wie zur DDR-Zeit, führt zu nichts anderem als zu Verdruss und Ärger und Demütigung und Rachegedanken.

Und es bringt nichts, sollte stattdessen durch eine entspanntere Betrachtung der Unterschiede und mehr Wirklichkeitssinn abgelöst werden.

Vor 30 Jahren ging die DDR unter. Der Westen hat gedacht, was soll sich schon ändern, die sollen sich anpassen. Der Osten hat gedacht, wir wollen alles das haben, was die haben. Beide haben sich geirrt, das ist das Ironische, und darüber ließe sich gemeinsam auch mal lachen. Wir sitzen ja im selben Film, der auch seine komischen Seiten hat, wenn wir unverkrampft hinsehen.


Wäre gut, denn dann könnte vielleicht endlich zusammen wachsen, was so oder so zusammen gehört.

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